Von Pichilemu der „Welthauptstadt des Surfens“ fuhren wir Mitte Januar in die Hauptstadt Chiles: Santiago de Chile oder kurz STGO. Im digitalen Fortschritt Chiles wurde 2020 auch das Mautsystem in der Stadt komplett automatisiert. Wenn man kein permanentes Tag im Auto hat, kann man Tagestickets online kaufen, oder angeblich bei COPEC Tankstellen eines lösen. Wir haben alles versucht, aber egal welchen Weg wir eingeschlagen haben, wir konnten nicht bezahlen. Das geht nämlich nur, wenn man zuvor die Rut (die Chilenische ID Nummer) eingegeben hat.
Wir programmieren die Route also mit der Option „Mautstraßen vermeiden“, was zunächst dazu führt, dass wir über längere Zeit „interessante“ Ecken von STGO kennenlernen und schließlich doch auf einer Autobahn landen, die elektronisch kontrolliert wird. Wir geben es auf und rollen einfach weiter zu unserem ersten Ziel: eine Mercedes Benz Werkstatt der Firma Kaufmann, die in ganz Chile Niederlassungen hat. Seit zwei Monaten ist unser Klimakompressor kaputt und wir wollen ihn reparieren lassen, bevor wir weiter in den warmen Norden fahren. Außerdem findet Daniel immer wieder ein paar Öltropfen auf dem Unterbodenschutz, die da nicht hingehören. Ein potentiell passenden neuen Klimakompressor hatten wir mit Hilfe eines Kollegen, der gute Kontakte nach Chile hat, bei einem lokalen Händler reserviert. Das war gar nicht so einfach, da dieses Modell in Chile normalerweise nicht verbaut wird. Da wir nicht wussten, ob ein Tausch die Fehlerursache beheben würde, wollten wir vor dem Kauf eines neuen Kompressors einen den Rat von Mercedes einholen.
Gegen Mittag parken wir vor der Kaufmann Mercedes Benz Niederlassung, einem modernen Gebäude im Nordwesten der Stadt. Draußen sind es um die 30°C. Hinter der geschwärzten Eingangstür erwartet uns angenehme Kühle und eine älterer Herr in oranger Weste, der hier für die Sicherheit sorgt. In unserem Fall sorgt er für Hilfe, denn bevor man sein Anliegen an einem der Service-Schalter äußern darf, muss man zunächst über ein Display eine elektronische Nummer „ziehen“. Ich habe die Optionen: Service oder Ersatzteile. Doch bevor ich diese Auswählen kann, muss ich meine Rut eintippen….. schon wieder. Ein paar Minuten später habe ich auf jeden Fall eine Nummer für Ersatzteile, mit der Rut des Herren in der Orangenen Weste.
10 Minuten später wird unsere Nummer aufgerufen und eine junge Dame am Ersatzteilschalter beginnt sehr engagiert mit der Recherche nach dem defekten Kompressor. Ein Kunde der in der Nähe steht, hilft als Übersetzer zwischendurch. Alle Aktionen der jungen Dame können wir auf einem zweiten, uns zugewandten Monitor verfolgen. Mit einer unglaublichen Geschwindigkeit klickt sie durch den Mercedes Ersatzteilkatalog, durchsucht SAP, öffnet den Teams-Chat mit einem Kollegen aus der Werkstatt und öffnet schließlich noch WhatsApp, um weitere Kollegen einzubinden. Doch elektronisch lässt sich das richtige Teil nicht finden. Auch sie stellt fest, unser 6-Zylinder-Motor ist in Chile nicht auf dem Markt und damit auch der Klimakompressor nicht dokumentiert. Die Dame eilt davon, um einen Produktmanager zu holen.
Der Kunde, der netterweise bei einigen Fachbegriffen als Übersetzer geholfen hat, stellt sich vor – er heißt Milenko. Milenko hat viele Jahre in den USA gelebt und nun in STGO die Werkstatt seines Vaters übernommen. Er hält die gesamte FedEx Flotte instand, darunter viele Mercedes Trucks und „muss“ daher bei Kaufmann immer wieder Ersatzteile kaufen. Normalerweise holt er diese nicht selbst ab, aber viele seiner Mitarbeiter sind aktuell im Urlaub. Ohne Zögen bietet Milenko uns seine Hilfe an, da er denkt, dass wir bei Kaufmann nicht erfolgreich sein werden. Wir tauschen also WhatsApp Kontakte aus, bevor er weiter muss.
Zusammen mit Produktmanager, Manager und der Dame vom Ersatzteil-Service gehen wir kurze Zeit später raus zum Fox, um das Problem unter der Motorhaube in 3D zu betrachten. Weitere Recherchen nach Teilenummern, Explosionszeichnungen, Chat-Dialoge folgen am Computer. Aber Milenko sollte Recht behalten. Trotz aller Bemühungen, können sie das passende Teil bzw. die Ursache des Schadens nicht eindeutig identifizieren. Sie geben uns aber noch einen Kontakt zu einem Klimaanlagen-Spezialisten, der eventuell helfen kann. Nach knapp zwei Stunden rollen wir davon. Unser Problem wurde zwar nicht gelöst, aber es war dennoch eine positive Erfahrung zu erleben, mit wie viel Ruhe und Engagement man versucht hat, uns zu helfen. Wir greifen also zum Handy und schreiben Milenko, der uns ganz selbstverständlich anbietet, dass wir am nächsten Morgen in seiner Werkstatt vorbeikommen können.
Danach fahren wir kurz vor Ladenschluss zu American Air Chile. Ein paar Wochen zuvor hatten wir per WhatsApp Chat die Teilenummern abgeglichen, ein Angebot erhalten und einen Kompressor zurücklegen lassen. Diesen WhatsApp Chat zeigen wir dem Mitarbeiter im Laden und der Kompressor wird promt orignialverpackt auf die Theke gestellt. Wir wissen nicht sicher ob er passt, aber in Ermangelung von Alternativen, kaufen wir ihn für den doppelten Preis, den er in Europa gekostet hätte. Wir dürfen ihn aber innerhalb von 24 Stunden umtauschen, falls er nicht passen sollte. Sehr kulant.
Mit Kompressor im Fußraum und Sonnenuntergang im Rücken rollen wir in den Osten der Stadt. Dort bietet ein Chilenischer Lehrer Reisenden eine Bleibe in seinem kleinen blauen Haus (Bamboo House). Gäste können in einem Apartment mit Garten oder im eigenen Camper in seiner zugegebenermaßen sehr schmalen Einfahrt übernachten. Daniel manövriert den Fox mit 20cm Platz an jeder Seite neben das Haus. Bald darauf sitzen wir mit Carlos unter einem Mandelbaum im Garten und trinken ein Bier. Eine kleine Oase mit einem sehr netten Gastgeber, der sich gerne mit Reisenden übers Reisen unterhält. Gute Tipps für die Weiterreise kann er uns natürlich auch geben.
Der nächste Tag ist eine eigene kleine Geschichte wert, aber ich gebe hier mal eine Kurzfassung wieder:
Gegen 10:00 Uhr kommen wir in Milenkos Werkstatt an. Wir werden freudig begrüßt und sofort in der Halle geparkt. In den folgenden 6 Stunden kümmert sich Tomás, ein junger, netter und sehr sorgfältiger Mechaniker um alle Ein- und Ausbauten im Motorraum. Daniel darf dabei gerne mit Hand anlegen und ist dementsprechend glücklich. Noch glücklicher ist er und auch alle anderen in der großen Werkstatt, dass der Kompressor tatsächlich passt. Zum Befüllen des Klimasystems wird ein Spezialist für Klimaanlagen angerufen, der kurze Zeit später mit seinem Service-Wagen in die Halle rollt. Gegen 16:00 Uhr läuft die Klimaanlage wieder und zwischenzeitlich wurde auch noch eine defekte Dichtung am Turbolader sowie das Motoröl getauscht. Ein Mittagessen in der lokalen Kantine gab es für Daniel ebenfalls – klassisch mit Humitas (im Maisblatt gedämpfte Polenta) und Suppe. Aber auch dieses wird uns nicht in Rechnung gestellt. Ganz im Gegenteil, wir zahlen einen wirklich schon fast zu fair wirkenden Betrag. Wir sind wieder mal überwältigt von der Hilfsbereitschaft und dem Improvisationstalent der Chilenen!
Glücklich und müde rollen wir abends zurück zum Bamboo House. Wir bleiben noch drei Nächte dort, allerdings im kleinen Apartment. Ich habe mir noch in Pichilemu einen ordentlichen Schnupfen eingefangen und kuriere diesen in der kleinen Oase bei Carlos und Ana.
STGO selbst haben wir natürlich auch noch besucht. Ganz klassisch sind wir am Sonntag mit der Standseilbahn auf über 800 Meter zum Hausberg Cerro San Cristobal hinaufgefahren. Wir steigen weiter hinauf zur 14 Meter hohen Marienstatue, die ihre Hände schützend über die Menschen der Stadt zu halten scheint. Es ist wenig los hier oben, kein Wunder bei weit über 30°C und mitten in den Sommerferien. Mit der Luftseilbahn geht es wieder hinunter und mit einem Uber weiter zum Centro Gabriela Mistral.
Gabriela Mistral war die erste Nobelpreisträgerin für Literatur in Chile und nach ihr ist ein Gebäude benannt, dass heute als Kulturzentrum fungiert. Es wurde 1972 als Sitz der Konferenz der UNCTAD III unter der Regierung Salvador Allendes erbaut. Nach dem Staatsstreich im September 1973 verwendete das Militär das Zentrum als politisches Operationszentrale. 1989, mit der Rückkehr der Demokratie in Chile, wurde das Gebäude zum Sitz für Kongresse und spezielle Zusammenkünfte. Ein Feuer im Frühjahr 2006, das große Teile des Gebäudes zerstörte, veranlasste die Regierung von Michelle Bachelet dazu, den ursprünglichen Sinn des Gebäudes zu überdenken. Auf diese Weise entstand die Idee, das Gebäude der Öffentlichkeit erneut als kulturelles Zentrum zugänglich zu machen. Eine sehr gute Idee, wie wir finden. Wir besuchen eine kleine Ausstellung in dem schönen Komplex und gehen danach noch im belebten Barrio Lastarria einen Happen essen gehen.
Zum Abschluss des Tages wollen wir den Sonnenuntergang vom kleinen Hügel Cerro Santa Luciá ansehen. Leider werden die Pforten zur Parkanlage auch im Sommer bereits um 19:00 geschlossen. Wir suchen daher spontan die nächstgelegene Bar mit Dachterrasse auf und landen (mal wieder) im The Singular Hotel. In der Bar Schwesterhotels in Patagonien haben wir vor einigen Wochen sehr schön gesessen und einen Kaffee getrunken. Hier über den Dächern von STGO ist ein Cocktail das passendere Getränk 🙂 Die Aussicht und das Ambiente sind sehr schön und die Mitarbeiter sehr freundlich, aber die ledernen Sesseln der Bar und das sehr internationalem Publikum lässt sich wohl fast überall auf der Welt finden. Wir fühlen uns etwas entrückt vom Leben ein paar Stockwerke weiter unten in der Stadt.
Am nächsten Tag erleben wir dieses dann noch etwas intensiver. Wir verlassen das Bamboo House, parken den Fox auf einem bewachten Parkplatz am Stadtrand und nehmen die Metro ins Zentrum. Der Parkwächter warnte uns noch beim Rausgehen, die Metro sei sehr kompliziert und wir sollen gut auf unsere Sachen aufpassen, die Gegend sei gefährlich. Am Nachmittag ist es allerdings noch immer sehr heiß und entsprechend wenig Menschen sind unterwegs, wir fühlen uns einigermaßen sicher und es sollte auch nichts passieren. Ein Ticket für die Metro zu kaufen ging dann doch relativ einfach, sobald wir die passenden Scheine in den Automaten gesteckt hatten und mit einmal Umsteigen erreichten wir problemlos das Zentrum. Nach kurzem Schlendern durch die heißen Straßen erreichen wir den Plaza de Armas. Hier steht auch die große Kathedrale von Santiago de Chile, in der wir uns kurz vor der Hitze erholen können. Wir sind nicht die einzigen. Ein älteres Paar hält ein Nickerchen, einige Touristen machen Fotos und ein Herr hinter uns führt Telefonate am Handy. Die Kirche hat hier viele Funktionen 🙂 Als wir die kühlen Mauern verlassen, fallen uns die verhältnismäßig vielen Frauen auf, die im Zentrum des Platzes unter den Bäumen stehen. Und der erste Eindruck täuscht nicht, es sind Prostituierte, zumeist sehr Junge, die hier ihre Dienste anbieten. Kein Platz zum Verweilen.
Wir schlendern weiter zur alten Markthalle, vorbei an kleinen Verkaufsständen und Straßenhändlern. Die Markthalle hat bereits offiziell geschlossen, aber die Restaurants bieten uns noch immer sehr aktiv ihr schmackhaftes Essen an. “No gracias” – wir lehnen dankend ab. Es zieht uns hinaus aus der heißen Stadt. Wir kaufen noch ein paar frische Empanadas de Horno (aus dem Ofen) und steigen wir wieder hinab in die Metro. Am frühen Abend verlassen wir STGO und rollen mit dem Fox auf einen schönen, ruhigen, grünen Campingplatz bei Maípu.